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Eine unbekannte lateinische Übersetzung der Predigten des Pseudo-Makarios
In einem spätantiken Codex der Biblioteca Ambrosiana in Mailand gelang eine sensationelle Entdeckung. Clemens Weidmann, ein Mitarbeiter des Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum (CSEL) am FB Altertumswissenschaften, konnte einen im 6. Jh. niedergeschriebenen Text als lateinische Übersetzung griechischer Predigten identifizieren, die wohl in Mesopotamien gehalten worden waren und unter dem Namen des ägyptischen Mönchsvaters Makarios Verbreitung fanden.
Der griechische Text ist nur aus ca. 500 Jahre jüngeren Handschriften bekannt, weshalb die neu gefundene lateinische Fassung (neben einer syrischen Übersetzung) das bei weitem älteste erhaltene Dokument des anonymen Predigers darstellt. Sie ist somit nicht nur ein wertvoller Zeuge für die Rezeption des Pseudo-Makarios im Westen, sondern wird auch zur Korrektur des griechischen Texts beitragen.
Die Erschließung des neuen Texts stellt die Forschung vor nicht alltägliche Probleme. Der Text ist nämlich nicht gut lesbar, da er im 9. Jh. mit dem Text der Oden des lateinischen Dichters Horaz überschrieben wurde. So genannte Palimpseste („Recycling-Bücher“) aus jener Zeit sind keine Seltenheit (Schreibmaterial war teuer), ungewöhnlich ist aber, dass ein christlicher Text einem Klassikertext weichen musste. Bekannt sind bisher nur Beispiele in der umgekehrten Richtung, dass klassische Texte einem christlichen Text Platz machen mussten, etwa Ciceros Schrift Über den Staat (De re publica) dem Psalmenkommentar des Augustinus oder die Komödien des Plautus der Bibel.
In Zusammenarbeit mit der Biblioteca Ambrosiana in Mailand wird nun in einem ersten Schritt der gesamte Text unter Einsatz komplexer bildgebender Verfahren entziffert. In weiterer Folge gilt es, den bisher unbekannten lateinischen Text mit dem griechischen zu vergleichen, Fragen zu Sprache, Übersetzungstechnik und zum literatur- sowie kirchengeschichtlichen Hintergrund zu beleuchten und ihn nach den Methoden der Textkritik zu edieren, damit er der Wissenschaft zur Verfügung steht. Geplant ist die Publikation in der Editionsreihe „CSEL“. Erste Ergebnisse aus der Arbeit an dem Neufund werden in diesem Semester in einer Lehrveranstaltung an der Universität Salzburg vorgestellt.
Auf dem Bildausschnitt kann man in der zweiten Zeile das berühmte, zum Sprichwort gewordene Carpe diem („Pflücke / Genieße den Tag“) von Horaz erkennen. Darunter befinden sich in größeren Buchstaben (Halbunziale) die Worte:
donec veniat in cor eius ignis cae-
lestis et mundet omnes spinas.
(„bis in sein Herz das himmlische Feuer kommt und alle Dornen reinigt“; H15,53: ἕως ὅτε ἔλθῃ εἰς τὰς καρδίας τῶν ἀνθρώπων πῦρ καὶ ἄρξηται περικαθαίρειν τὰς ἀκάνθας).

© Biblioteca Ambrosiana, Milano
Literaturhinweis: C. Weidmann, Vorankündigung: Eine unbekannte lateinische Übersetzung der Predigten des Pseudo-Makarios, Zeitschrift für Antike und Christentum 24/2 (2020), 219-222.
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Databases of medieval artefacts and manuscripts
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Augustinus, De musica – ed. M. Jacobsson, Introduction by M. Jacobsson and L. J. Dorfbauer (CSEL 102)
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Ein in der Handschrift Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibl. 17 (s. IX1/3) anonym überlieferter Evangelienkommentar konnte unlängst von Lukas J. Dorfbauer als Werk des Bischofs Fortunatianus von Aquileia (Mitte 4. Jh.) identifiziert werden.
Film: Die neuen Erfurter Predigten
Historischer Hintergrund — wissenschaftliche Auswertung — Edition Dauer: 6 Minuten FILM (ca. 27 MB) Quellenverzeichnis zum Film (September 2009)
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